Ein Krokodil sorgt für Schrecken
Das Krokodil, das es sich vor einem Wasserfall am Chateau de Saint-Germain-de-Confolens gemütlich gemacht hatte, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Nur ein Tiermodell, aber eines, das den Bogenschützen alles abverlangte. „52 Meter entfernt und sehr flach“, beschreibt Danny Becker die besondere Herausforderung in einem ohnehin sehr schwierigen Parcours. Der Rosendahler in Diensten der DJK und SG Coesfeld lieferte einen starken Wettkampf ab, aber einer war einen Tick besser: Urs Wittwer, der Schweizer, setzte sich knapp vor Becker durch, der mit dem Vize-Europameistertitel in der Klasse Bowhunter Unlimited aus Frankreich zurückkehrte. Mit der deutschen Mannschaft holte er sich Platz eins.
In Confolens erwartete die Bogenschützen ein außergewöhnlicher Parcours. Denn die Tiermodelle, auf die möglichst exakt mit dem Pfeil geschossen werden muss, waren nicht im Gelände platziert, sondern rund um eine Burgruine oder sogar ein der Stadt. „Deutlich komplizierter“, sagt Becker. „Zumal die Entfernung der Ziele nah am Maximum war.“ Zudem mussten die 23 Teilnehmer bei der EM 2022 die erste von vier Runden gleich in der Kategorie „Hunting“ absolvieren – nur ein Pfeil pro Ziel auf eine geschätzte Entfernung, der je nach Präzision des Treffers 20, 16 oder 10 Punkte bringt. Der 32-Jährige hatte obendrein das Pech, bei den schwierigsten Modellen anfangen zu müssen: „So konnte ich mir von den anderen Teilnehmern nichts ableiten.“ Ein paar Punkte ließ er liegen, befand sich nach dem ersten Tag mit 20 Zählern Rückstand auf Urs Wittwer auf Rang vier.
Die Aufholjagd startete Danny Becker in der zweiten Runde, dem 3D, bei dem zwei Pfeile geschossen und zehn, acht oder fünf Punkte geholt werden können – oder eben keiner, wie der Rosendahler am letzten Ziel – dem besagten Krokodil – feststellen musste. „Mit meinem zweiten Pfeil habe ich nicht getroffen, das passiert mir eigentlich nie“, schüttelt er den Kopf. Zwar holte er mit 503 Zählern die Tagesbestmarke, aber weitere acht bis zehn Punkte blieben durch diesen Versuch auf der Strecke – was am Ende entscheidend sein sollte.
Denn an den beiden Folgetagen in der „Unmarked Animal Round“ (pro Ziel drei Schüsse, 1. Pfeil 20/18 Punkte, 2. Pfeil 16/14 Punkte), 3. Pfeil 12/10 Punkte) lieferte er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Urs Wittwer. Der nur noch geringe Rückstand war am Ende des dritten Durchgangs aufgeholt, denn Becker legte mit 560 Zählern die perfekte Runde hin und ging punktgleich mit seinem Konkurrenten in den vierten Tag. „Das habe ich gleich mit dem ersten Pfeil zwei Punkte ausgelassen“, erzählt er. „Das arbeitet in einem.“ Zwar verpasste auch Urs Wittwer bei zwei der insgesamt 28 Ziele die Höchstpunktzahl, aber Danny Becker passierte das insgesamt drei Mal.
Mit dem hauchdünnen Rückstand von zwei Punkten, aber einem satten Vorsprung von 32 Zählern auf den drittplatzierten Kai Falkenberg (Deutschland), gratulierte er Wittwer zum EM-Titel – womit der Rosendahler aber kein Problem hatte. „Er ist ein echtes Vorbild für mich“, sagt er über den 54-jährigen Schweizer. „Wir kennen und schätzen uns.“ Schon 2017 hatte Wittwer die Nase vorn, während Becker auf Rang vier landete. Ein Jahr später holte sich der 32-Jährige den EM-Titel, gewann 2019 die Weltmeisterschaft in 3D und die Europameisterschaft im Feld.
Seine Goldmedaille nahm er dennoch mit auf die Heimreise aus Frankreich: Gemeinsam mit Jürgen Schmidt und Thomas Bitzer gewann Becker für den Deutschen Feldbogen-Verband den Mannschaftswettbewerb. Und die nächste Herausforderung steht schon in Kürze an mit der Feld-WM vom 8. bis 12. August in Pärnu/Estland, wo er Kristo Kent aus dem Gastgeberland als einen der härtesten Konkurrenten einschätzt. „Urs Wittwer ist dann nicht dabei“, berichtet Danny Becker. Und weil dann auf Scheiben geschossen wird, legt sich auch kein Krokodil in den Weg.
Quelle: Allgemeine Zeitung Coesfeld vom 05.07.2022