Darts: Kira Mertens zählt zu den großen Nachwuchshoffnungen in ihrem Sport
Blöde Sprüche spornen nur an
Darts war bis vor wenigen Jahren eine reine Männer-Domäne. Mittelalte, wohlbeleibte Kerle, die bei Turnieren gern unter sich blieben. Zum Glück ist auch diese traditionsreiche (ehemalige) Kneipensportart inzwischen im 21. Jahrhundert angekommen. Mit der Niederländerin Noa-Lynn van Leuven nimmt sogar erstmals eine Trans-Frau an der Weltmeisterschaft am Jahresende im ehrwürdigen Alexandra Palace in London teil. Trotzdem gebe es gelegentlich immer noch Vorbehalte, wenn sie bei Turnieren oder bei Meisterschaftsspielen aufkreuze, erzählt Kira Mertens. Die Stadtlohnerin, 18 Jahre jung, die in der Münsterland- und der NWDV-Liga für die SG Coesfeld 06 antritt, findet zwar, dass bedingt auch durch die Erfolge, die Star-Spielerinnen wie Fallon Sherrock oder Beau Greaves auf der Main Tour feiern, „die Sprüche weniger werden“. Aber letztens, bei einem Meisterschaftsspiel, habe es mal wieder so einen blöden Kommentar gegeben. Ihr Gegner, männlich, bekam von den Teamkameraden mit auf den Weg, dass ein Sieg doch wohl Formsache sei – „ist ja nur ein Mädel“. Das „Mädel“ hat den Mann dann, bildlich gesprochen, ans Brett genagelt. Mertens drei, Typ null. Noch Fragen? Dabei sollte sich in der Szene doch inzwischen rumgesprochen haben, welches Talent da im Westmünsterland heranwächst. Im Vorjahr war Kira Mertens Deutsche Meisterin bei den Juniorinnen, 2024 hat sie die Youth Challenges in Dänemark und Deutschland gewonnen. In der Nachwuchs-Weltrangliste wird sie an Position vier geführt. Anfang Oktober nahm sie in Budapest an der Quali zur (Frauen-) Weltmeisterschaft in Lakeside – das Gegenstück zur WM im „Ally Pally“ – teil, erreichte die K.o-Phase, unterlag aber im Sechzehntelfinale einer Engländerin.
Das kleine Städtchen im Nordwesten des Königreichs bleibt für Mertens ein Sehnsuchtsort, nächstes Jahr wird sie einen neuen Anlauf nehmen – wenngleich das Niveau dort „extrem hoch“ sei. Titelverteidigerin Greaves, nur zwei Jahre älter als sie selbst, lehrt längst die besten Männer das Fürchten.
Deren alljährliche Leistungsschau zwischen den Jahren im Alexandra Palace, die auch in Deutschland ein Millionenpublikum verfolgt, ist für Mertens dagegen „ganz weit weg“. Letztens, in Hamburg, hat sie einen 76er-Average erzielt, pro Aufnahme (drei Würfe) 76 Punkte. Ein Bestwert in ihrer noch jungen Karriere. Stark. Aber nicht stark genug, wenn man ihn in Relation zum sagenhaften 109er-Schnitt setzt, der Luke Humphries vor zehn Monaten den Einzug ins WM-Finale von London bescherte.
Ihre Scores seien „eigentlich ganz gut, aber wenn es ans Auschecken geht, kommt manchmal doch wieder die Nervosität.“ Nur ja richtig rechnen, um abschließend auf ihre Lieblings-Doppelfelder – die 14 oder die 18 – zu stellen. „Reine Kopfsache“, glaubt der Teenager. Und im Training meist so einfach. Aber wenn es ernst wird, wie im Finale der Dutch Open, vor gut 100 Zuschauern, dann zittere halt doch gelegentlich das Händchen.
Weshalb viele Profis heutzutage einen Mental-Coach beschäftigen. Für Mertens kommt das schon aus Kostengründen nicht in Betracht. Ihre bisherigen Preisgelder? Überschaubar. Nach dem DM-Erfolg im vergangenen Jahr durfte sie das Sieger-Shirt behalten. Wert: 30 Euro. Für Platz zwei in den Niederlanden gab’s kaum mehr. Sponsoren müsse man, zumal im Nachwuchsbereich, mit der Lupe suchen. In England sei das komplett anders, da stehen die Geldgeber Schlange. WM-Finalist Luke Littler, ein paar Monate jünger, hat quasi bereits ausgesorgt.
Während die Stadtlohnerin, derzeit auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen ist. Die sie auch bekommt. Willi Mertens, einst einer der besten Amateurspieler hierzulande und Kiras Teamkollege in Coesfeld, fördert die Tochter, wo immer es geht. Fährt sie zu Wettkämpfen, steht ihr als Coach und Mentor zur Seite. Die ersten Pfeile hatte Kira in der Hand, da war sie vier. „Ernsthaft“ begonnen hat die ehemalige Voltigiererin als Elfjährige.
Ab 2025 startet Kira Mertens altersbedingt bei den Erwachsenen. Größte Herausforderung? „Über einen längeren Zeitraum konzentriert zu bleiben. Die bisherigen Matches gingen maximal über zehn, elf Legs. Bei den Älteren können es locker auch mal Best-of-19-Begegnungen sein.“ Daher stehe sie bis zu fünf Stunden am Tag daheim am Übungsboard, einmal die Woche wird in der Kreisstadt trainiert.
Tipps bekommt der Youngster hin und wieder auch von zwei Szene-Promis: Ricardo Pietreczko und Jermaine Wattimena. „Pikachu“, den deutschen Senkrechtstarter, habe sie 2022 bei einem Turnier in Nürnberg kennengelernt, Wattimena bei „Dart im Quadrat“, einer Veranstaltung im benachbarten Ahaus. „Man tauscht sich aus, bekommt Lob und aufmunternde Worte.“ Bei der EM in Dortmund, die am Sonntag zu Ende gegangen ist, hat es der Niederländer bis ins Endspiel geschafft.
Kira Mertens hat die Heim-Europameisterschaft, gemeinsam mit den SG-Kollegen, live vor Ort verfolgt. ,Im Fernsehen bekommt man ja schon ein bisschen was von der Atmosphäre in der Westfalenhalle mit. Aber wenn man mit über 5000 Menschen im Publikum sitzt, nur ein paar Meter entfernt von den größten Dart-Spielern der Welt – unvergleichlich.“ Und für Kira Mertens nur ein Grund mehr, weiter an der eigenen Erfolgsstory zu schreiben.
Quelle: Allgemeine Zeitung Coesfeld, Florian Levenig
Talent, Fleiß, Biss – und vor allem ein ruhiges Händchen: Kira Mertens bringt alles mit, um in ihrer Sportart Erfolg zu haben.
Foto: Kira Mertens privat